Bundesgrenzschutz: Jagdszenen an der deutsch-polnischen Grenze
Bericht: Sascha Adamek
Volker Happe: "Mehr als sieben Jahre ist es nun her, dass
die alte Bundesregierung die umstrittene 'Drittstaaten-Regelung für
Flüchtlinge' durchgesetzt hat. Danach kann jeder Flüchtling gleich
an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn er auf seiner Flucht über
einen so genannten sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist. Und da
praktisch alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten
gelten, hat sich inzwischen bewahrheitet, was kritische Stimmen schon damals
prophezeiten: Das kriminelle Treiben der Schlepperbanden blüht - und
nun ist quasi jeder Flüchtling ein illegaler Flüchtling - auch
an der deutsch-polnischen Grenze. Dort warten auf ihn Bundesgrenzschützer
mit Diensthunden, die auf Menschen gedrillt sind. Ein Bericht von Sascha
Adamek."
Guben in Ostbrandenburg, eine kleine Grenzstadt an der Neiße.
Hier ist man stolz auf die guten Beziehungen zum polnischen Gubin auf der
anderen Seite - allerdings nur im kleinen Grenzverkehr. Vor illegalen Flüchtlingen
dagegen wird gewarnt, und die kommen hier vor allem Nachts heimlich durch
den Fluss - natürlich weit ab des Grenzübergangs. Der allgegenwärtige
Bundesgrenzschutz (BGS) wirbt deshalb auf Plakaten für seine Meldehotline
- in der Stadt und sogar in abgelegenen Kleingartenkolonien in Grenznähe
sollen Bürger auf auffällige Ausländer achten. In der Laubenkolonie
"Morgenröte" zum Beispiel, nahm man Flüchtlinge schon häufiger
ins Visier.
Laubenbesitzer: "Die kommen hier über die Neiße rüber.
Na, überhaupt wenn - sagen wir mal - Niedrigwasser ist. Ohne weiteres.
Mit Schleusser und paar Leute, vier Leute, fünf Leute - immer je nachdem,
wie."
Reporter: "Haben Sie auch schon mal selbst welche gesehen?"
Laubenbesitzer: "Ja, ja."
Reporter: "Was machen Sie dann?"
Laubenbesitzer: "Was mach ich dann? Ich ruf den Bundesgrenzschutz
an."
Fast 38.000 Flüchtlinge brachten Grenzschützer 1999
an Deutschlands Grenzen auf. Eine Streife des BGS in Guben. Im Einsatz:
moderne Technik wie Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte. Stolz
zeigt präsentiert man uns Bilder von illegalen Grenzübertritten,
wie es im Amtsdeutsch heißt. Und wenn die Technik nicht weiterführt,
setzt man auf Menschen gedrillte Diensthunde ein.
Hundeführer:
"Also, eingesetzt wird der Hund hauptsächlich meistens zur Nachsuche.
Wir haben es also so, dass wir im Bereich halt unserer Streife irgendwelche
Spuren feststellen, den Hund dort dann halt mit Leine ansetzen und er uns
halt über seine Nase - sag ich mal - vermittelt, wohin die Leute gegangen
sind oder was überhaupt jetzt vor Ort dann passiert ist."
Reporter: "Wird er auch schon mal von der Leine gelassen?"
Hundeführer: "Das passiert auch, zum Beispiel beim
Absuchen von Waldstücken oder jetzt von Maisfeldern, wird der Hund
auch mal von der Leine abgemacht, dann kommt aber grundsätzlich -
wie gesagt, das ist halt von der Lage abhängig - ein Beisskorb drauf
und der Hund macht die Nachsuche dann mit Beisskorb."
Reporter: "Also, es ist noch nie vorgekommen, dass jemand
gebissen wurde?"
Hundeführer: "Nein, eigentlich nicht."
Dieses BGS-Video zeigt einen so genannten Zugriff. Nur die Tasche
schützte den illegalen Grenzgänger.
Weit schlimmer erging es einer tschetschenischen Familie: Sie wurde
an der Grenze geschnappt und von deutschen Beamten hier nach Warschau abgeschoben,
wo sie jetzt auf ihren Asylbescheid wartet.
Liza Magomadowa und ihre Familie musste im Frühjahr vor den einrückenden
russischen Truppen fliehen. Die angesehene Ärztefamilie, die in Grosny
in bescheidenem Wohlstand lebte, hatte die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung
unterstützt.
Schleuser brachten sie direkt an das polnische Ufer der Neiße.
Nachts wateten sie mit kleinem Gepäck durch den Fluss. Auf der deutschen
Seite, machte eine Polizeistreife ihrer Odyssee ein brutales Ende:
Liza Madomadowa: "Als wir gerade den Grenzfluss zwischen
Deutschland und Polen überquerten, haben uns sofort die deutschen
Grenzbeamten angehalten. Ein Scheinwerfer ging an und jemand rief 'Halt'.
Wir blieben sofort stehen, mein Mann bei meiner Tochter, ich zehn Meter
entfernt mit meinem Sohn. Dann hetzten sie einen Hund auf meinen Mann und
meine Tochter. Er hat sie mit seiner Hand geschützt und der Hund hat
sich in seinem Arm festgebissen. Wir haben angefangen zu weinen und zu
schreien. Es dauerte wahrscheinlich zehn Minuten, bis die Grenzbeamten
den Hund von meinem Mann wegriefen."
Hier, bei der Kleingartenkolonie 'Morgenröte' an der Neiße
geschah es, laut BGS ein Versehen, denn die Streife habe eigentlich einen
Schleuser gejagt. Der tschetschenische Familienvater erlitt dabei erhebliche
Verletzungen, hier gleich nach dem Vorfall fotografiert.
Aber dies ist kein Einzelfall. Die Bundesregierung bestätigte
auf eine Anfrage der PDS-Fraktion, dass allein zwischen 1997 und 1999 an
der Grenze 43 Menschen Opfer einer Zitat
"Bissverletzung durch Diensthund bei Fluchtversuch"
wurden. Ein BGS-Leiter beschreibt, wie ein angreifender Diensthund reagiert:
Werner
Zimmermann, Grenzschutzamt Frankfurt / Oder: "Da hilft nur eins: absolut
stillstehen, sich nicht mehr bewegen! Ruhig stehen bleiben und warten,
bis Hilfe kommt. Und das Entscheidende war - ich habe es nicht geglaubt
- keinen Augenkontakt zum Hund! Also, aus den Augenwinkeln vielleicht,
aber wenn Sie ihn fixieren, in die Augen schauen, wird er aggressiv und
geht auf Sie los."
Liza Magomadowa ist nicht nur durch den Hundeeinsatz traumatisiert.
Bei ihrer Festnahme musste die Familie eine demütigende Behandlung
über sich ergehen lassen.
Liza Madomadowa: "Wir wurden gezwungen, uns auszuziehen.
Es war kalt, das Gras war nass. Wir bekamen keine Decken. Wir mussten niederknien,
die Kleider in den Schmutz werfen. Für uns war das alles sehr erniedrigend."
Flüchtlinge aus aller Welt sammeln sich in Polen. Viele wurden
zuvor von deutschen Grenzern zurückgewiesen. Die UNO-Flüchtlingsorganisation
UNHCR in Polen kritisiert die deutsche Grenzpraxis scharf:
Wojech
Trojan, UNHCR-Polen: "Neuerdings stelle ich eine substantielle Zunahme
von solchen Berichten fest, und wir wissen von anderen Fällen, in
denen sich Menschen über, wie ich sagen würde, ziemlich brutale
Behandlung an der deutsch-polnischen Grenze beschweren."
Die
Abschottungspolitik mit High-Tech-Überwachung treibt inzwischen Flüchtlinge
immer wieder zu waghalsigen Aktionen. Bei dem Versuch, durch Oder und Neiße
zu schwimmen, sind regelmäßig Menschen ertrunken und wurden
wie dieser libanesische Flüchtling 1992 an der Oder, irgendwo flussabwärts,
tot angeschwemmt. Mit solchen Schicksalen wollten sich engagierte Mitarbeiter
der Berliner Flüchtlingsinitiative ARI nicht länger abfinden.
Akribisch dokumentierten sie jeden Todesfall, gestützt auf Daten von
BGS und Pressemeldungen. Allein von 1993 bis 1999 starben danach insgesamt
87 Menschen an Deutschlands Ostgrenze.
Auch die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg hat 1998 die Grenzpraxis
dokumentiert.
Hanns Thomä-Venske, Ev. Kirche Berlin-Brandenburg: "Diese
Bilanz an Opfern ist im Grunde genommen eine unerträgliche Hypothek
auf das Asylrecht, auf unsere Verfassung. Ich kann mich damit nicht abfinden,
ich halte dieses nicht für normal, ich halte es auch nicht für
hinnehmbar, dass Menschen in so hohem Maße zu Schaden kommen, für
ihr Leben gezeichnet sind oder gar zu Tode kommen."
Auch ihre Hoffnungen, in Deutschland Zuflucht vor dem Krieg in ihrer
Heimat zu finden, erfüllten sich nicht - im Gegenteil:
Liza Magomadowa: "In Tschetschenien kämpften vor allem
Söldner und Kriminelle, es war schrecklich, aber eine solche Erniedrigung
in einem Land, in dem wir ein zivilisiertes Verhalten gegenüber Menschen
erwarteten, so etwas hatten wir noch nie erlebt."
Volker Happe: "Auch das Schicksal dieser Flüchtlinge zeigt,
wie verkümmert mittlerweile das deutsche Asylrecht ist, auf das wir
einst - nach dem Zweiten Weltkrieg - mit Recht so stolz waren. Gern hätten
wir übrigens das Bundesinnenministerium als zuständige Behörde
zu den Verhältnissen an der deutsch-polnischen Grenze befragt - doch
war man leider zu keinerlei Stellungnahme vor der Kamera bereit."
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