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MONITOR Nr. 471 vom 08.02.2001

Bundesgrenzschutz: Jagdszenen an der deutsch-polnischen Grenze

Bericht: Sascha Adamek

 Volker Happe: "Mehr als sieben Jahre ist es nun her, dass die alte Bundesregierung die umstrittene 'Drittstaaten-Regelung für Flüchtlinge' durchgesetzt hat. Danach kann jeder Flüchtling gleich an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn er auf seiner Flucht über einen so genannten sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist. Und da praktisch alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten gelten, hat sich inzwischen bewahrheitet, was kritische Stimmen schon damals prophezeiten: Das kriminelle Treiben der Schlepperbanden blüht - und nun ist quasi jeder Flüchtling ein illegaler Flüchtling - auch an der deutsch-polnischen Grenze. Dort warten auf ihn Bundesgrenzschützer mit Diensthunden, die auf Menschen gedrillt sind. Ein Bericht von Sascha Adamek." 

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Guben in Ostbrandenburg, eine kleine Grenzstadt an der Neiße. Hier ist man stolz auf die guten Beziehungen zum polnischen Gubin auf der anderen Seite - allerdings nur im kleinen Grenzverkehr. Vor illegalen Flüchtlingen dagegen wird gewarnt, und die kommen hier vor allem Nachts heimlich durch den Fluss - natürlich weit ab des Grenzübergangs. Der allgegenwärtige Bundesgrenzschutz (BGS) wirbt deshalb auf Plakaten für seine Meldehotline - in der Stadt und sogar in abgelegenen Kleingartenkolonien in Grenznähe sollen Bürger auf auffällige Ausländer achten. In der Laubenkolonie "Morgenröte" zum Beispiel, nahm man Flüchtlinge schon häufiger ins Visier.

Laubenbesitzer: "Die kommen hier über die Neiße rüber. Na, überhaupt wenn - sagen wir mal - Niedrigwasser ist. Ohne weiteres. Mit Schleusser und paar Leute, vier Leute, fünf Leute - immer je nachdem, wie." 

Reporter: "Haben Sie auch schon mal selbst welche gesehen?"

 Laubenbesitzer: "Ja, ja."

 Reporter: "Was machen Sie dann?"

 Laubenbesitzer: "Was mach ich dann? Ich ruf den Bundesgrenzschutz an."

 Fast 38.000 Flüchtlinge brachten Grenzschützer 1999 an Deutschlands Grenzen auf. Eine Streife des BGS in Guben. Im Einsatz: moderne Technik wie Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte. Stolz zeigt präsentiert man uns Bilder von illegalen Grenzübertritten, wie es im Amtsdeutsch heißt. Und wenn die Technik nicht weiterführt, setzt man auf Menschen gedrillte Diensthunde ein. 

Hundeführer: "Also, eingesetzt wird der Hund hauptsächlich meistens zur Nachsuche. Wir haben es also so, dass wir im Bereich halt unserer Streife irgendwelche Spuren feststellen, den Hund dort dann halt mit Leine ansetzen und er uns halt über seine Nase - sag ich mal - vermittelt, wohin die Leute gegangen sind oder was überhaupt jetzt vor Ort dann passiert ist." 

Reporter: "Wird er auch schon mal von der Leine gelassen?"

 Hundeführer: "Das passiert auch, zum Beispiel beim Absuchen von Waldstücken oder jetzt von Maisfeldern, wird der Hund auch mal von der Leine abgemacht, dann kommt aber grundsätzlich - wie gesagt, das ist halt von der Lage abhängig - ein Beisskorb drauf und der Hund macht die Nachsuche dann mit Beisskorb."

 Reporter: "Also, es ist noch nie vorgekommen, dass jemand gebissen wurde?"

 Hundeführer: "Nein, eigentlich nicht."

 Dieses BGS-Video zeigt einen so genannten Zugriff. Nur die Tasche schützte den illegalen Grenzgänger. 

Weit schlimmer erging es einer tschetschenischen Familie: Sie wurde an der Grenze geschnappt und von deutschen Beamten hier nach Warschau abgeschoben, wo sie jetzt auf ihren Asylbescheid wartet. 

Liza Magomadowa und ihre Familie musste im Frühjahr vor den einrückenden russischen Truppen fliehen. Die angesehene Ärztefamilie, die in Grosny in bescheidenem Wohlstand lebte, hatte die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung unterstützt. 

Schleuser brachten sie direkt an das polnische Ufer der Neiße. Nachts wateten sie mit kleinem Gepäck durch den Fluss. Auf der deutschen Seite, machte eine Polizeistreife ihrer Odyssee ein brutales Ende:

 Liza Madomadowa: "Als wir gerade den Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen überquerten, haben uns sofort die deutschen Grenzbeamten angehalten. Ein Scheinwerfer ging an und jemand rief 'Halt'. Wir blieben sofort stehen, mein Mann bei meiner Tochter, ich zehn Meter entfernt mit meinem Sohn. Dann hetzten sie einen Hund auf meinen Mann und meine Tochter. Er hat sie mit seiner Hand geschützt und der Hund hat sich in seinem Arm festgebissen. Wir haben angefangen zu weinen und zu schreien. Es dauerte wahrscheinlich zehn Minuten, bis die Grenzbeamten den Hund von meinem Mann wegriefen."

 Hier, bei der Kleingartenkolonie 'Morgenröte' an der Neiße geschah es, laut BGS ein Versehen, denn die Streife habe eigentlich einen Schleuser gejagt. Der tschetschenische Familienvater erlitt dabei erhebliche Verletzungen, hier gleich nach dem Vorfall fotografiert.

 Aber dies ist kein Einzelfall. Die Bundesregierung bestätigte auf eine Anfrage der PDS-Fraktion, dass allein zwischen 1997 und 1999 an der Grenze 43 Menschen Opfer einer Zitat 

"Bissverletzung durch Diensthund bei Fluchtversuch" 
wurden. Ein BGS-Leiter beschreibt, wie ein angreifender Diensthund reagiert:

 Werner Zimmermann, Grenzschutzamt Frankfurt / OderWerner Zimmermann, Grenzschutzamt Frankfurt / Oder: "Da hilft nur eins: absolut stillstehen, sich nicht mehr bewegen! Ruhig stehen bleiben und warten, bis Hilfe kommt. Und das Entscheidende war - ich habe es nicht geglaubt - keinen Augenkontakt zum Hund! Also, aus den Augenwinkeln vielleicht, aber wenn Sie ihn fixieren, in die Augen schauen, wird er aggressiv und geht auf Sie los." 

Liza Magomadowa ist nicht nur durch den Hundeeinsatz traumatisiert. Bei ihrer Festnahme musste die Familie eine demütigende Behandlung über sich ergehen lassen.

 Liza Madomadowa: "Wir wurden gezwungen, uns auszuziehen. Es war kalt, das Gras war nass. Wir bekamen keine Decken. Wir mussten niederknien, die Kleider in den Schmutz werfen. Für uns war das alles sehr erniedrigend." 

Flüchtlinge aus aller Welt sammeln sich in Polen. Viele wurden zuvor von deutschen Grenzern zurückgewiesen. Die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Polen kritisiert die deutsche Grenzpraxis scharf:

 Wojech Trojan, UNHCR-PolenWojech Trojan, UNHCR-Polen: "Neuerdings stelle ich eine substantielle Zunahme von solchen Berichten fest, und wir wissen von anderen Fällen, in denen sich Menschen über, wie ich sagen würde, ziemlich brutale Behandlung an der deutsch-polnischen Grenze beschweren." 

Die Abschottungspolitik mit High-Tech-Überwachung treibt inzwischen Flüchtlinge immer wieder zu waghalsigen Aktionen. Bei dem Versuch, durch Oder und Neiße zu schwimmen, sind regelmäßig Menschen ertrunken und wurden wie dieser libanesische Flüchtling 1992 an der Oder, irgendwo flussabwärts, tot angeschwemmt. Mit solchen Schicksalen wollten sich engagierte Mitarbeiter der Berliner Flüchtlingsinitiative ARI nicht länger abfinden. Akribisch dokumentierten sie jeden Todesfall, gestützt auf Daten von BGS und Pressemeldungen. Allein von 1993 bis 1999 starben danach insgesamt 87 Menschen an Deutschlands Ostgrenze.

 Auch die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg hat 1998 die Grenzpraxis dokumentiert.

Hanns Thomä-Venske, Ev. Kirche Berlin-Brandenburg: "Diese Bilanz an Opfern ist im Grunde genommen eine unerträgliche Hypothek auf das Asylrecht, auf unsere Verfassung. Ich kann mich damit nicht abfinden, ich halte dieses nicht für normal, ich halte es auch nicht für hinnehmbar, dass Menschen in so hohem Maße zu Schaden kommen, für ihr Leben gezeichnet sind oder gar zu Tode kommen."

Auch ihre Hoffnungen, in Deutschland Zuflucht vor dem Krieg in ihrer Heimat zu finden, erfüllten sich nicht - im Gegenteil:

 Liza Magomadowa: "In Tschetschenien kämpften vor allem Söldner und Kriminelle, es war schrecklich, aber eine solche Erniedrigung in einem Land, in dem wir ein zivilisiertes Verhalten gegenüber Menschen erwarteten, so etwas hatten wir noch nie erlebt."

 

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Volker Happe: "Auch das Schicksal dieser Flüchtlinge zeigt, wie verkümmert mittlerweile das deutsche Asylrecht ist, auf das wir einst - nach dem Zweiten Weltkrieg - mit Recht so stolz waren. Gern hätten wir übrigens das Bundesinnenministerium als zuständige Behörde zu den Verhältnissen an der deutsch-polnischen Grenze befragt - doch war man leider zu keinerlei Stellungnahme vor der Kamera bereit." 

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